"Nasale Raumpalpation", 2015

In der zweiteiligen Videoperformance Nasale Raumpalpation (2015) wird mit einer durch ein Papprohr verlängerten Nase der Raum hinsichtlich seiner Größe und Beschaffenheit untersucht. Der Titel Nasale Raumpalpation verweist hierauf. Der Begriff 'Palpation' beschreibt in der Medizin das Abtasten, durch welches Größe, Beweglichkeit sowie Festigkeit und Nachgiebigkeit untersucht werden. Zugleich macht der Titel deutlich, dass das Geschehen auf den Bildschirmen nicht mehr ist, als das, was konkret vor Augen geführt wird.

 

Zwei Monitore auf weißen Sockeln zeigen die Arbeit "Nasale Raumpalpation".
Nasale Raumpalpation I + II, 2015 | 2teilige Videoperformance | je 00:07:30

Film I zeigt einen alten Raum imStil der 1950er Jahre. Die weißen Wände sind im Farbton horizontal unterteilt. Nicht nur ist die untere Hälfte der Wand dunkler im Ton, sondern auch anders in ihrer Oberflächenstruktur. Die Frontwand ist durch zwei gelblichweiße, geschlossene Türen durchbrochen. Auch in der linken und rechten Wand befindet sich eine Tür. Türen, die die Existenz weiterer Räume implizieren. Der Raum wirkt ungenutzt, auf seltsame Art beklemmend. Wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Er birgt in sich eine ganz eigentümliche Ästhetik. In diesem Raum befindet sich eine kleine menschliche Gestalt. Die Nase ist durch ein Papprohr, welches im rechten Winkel vom Kopf absteht, um fast zweidrittel der Körpergröße verlängert. Der Kopf ist weiß verhüllt, sodass keine menschlichen Züge erkennbar sind. Die bizarr anmutende Gestalt bewegt sich langsam tastend zwischen den raumabgrenzenden Wänden hin und her. Statt mit den Händen die massive Materialität der Wände zu erforschen, wird die Figur direkt mit der absonderlich verlängerten Nase darauf gestoßen. Durch den Aufprall, den Widerstand und die Reibung an den steinernen Wänden sowie den hölzernen Türen wird nicht nur die neue, ungewohnt verlängerte Körperlichkeit,die in neuer Weise den Abstand zum Körper bestimmt, sondern auch die massive Materialität und Struktur der Raumgrenze sowohl Taktil, als auch akkustisch erlebbar und begreifbar. Aber auch die Größe und Leere des Raumes, der luftdurchdrungene Zwischenraum, welcher sich durch den Abstand der Wände zueinander ergibt, wird beim Durchschreiten ausgemessen und erlebt.



Linker Bildschirm: Eine Figur tastet mit einer durch ein Rohr verlängerten Nase die Raumgrenzen ab. Rechter Bildschirm: Sicht durch das Rohr während der Performance.
Film Stills aus "Nasale Raumpalpation I + II", 2015

Durch die verlängerte Nase ist eine veränderte Raum- und Körpererfahrung geschaffen worden. Der Tastsinn steht im Mittelpunkt des Geschehens. Beim Abtasten geben Druck- und Vibrationsempfindungen Aufschluss über die Beschaffenheit, also die Härte, Beweglichkeit und Oberflächenstruktur. Zudem dient der Tastsinn der Eigenwahrnehmung. Er liefert nicht nur Informationen über die Beschaffenheit der Wände, sondern auch zur Lage, Stellung oder Bewegung des Körpers. Die ursprüngliche Funktion der Nase - durch Atmung und Geruchswahrnehmung mit der Außenwelt in Austausch zu treten - wird bei Nasale Raumpalpation  nebensächlich. Stattdessen übernimmt die Nase taktile Funktionen. So wird die Gestalt mit ihrer verlängerten Nase buchstäblich auf die Raumgrenze gestoßen, um sie daraufhin in Bögen und Linien abzutasten. Zwar wird durch die künstliche Verlängerung der Nase der Sehsinn beeinträchtigt, doch ist er nicht unwichtig. Vielmehr wird durch die visuelle Beeinträchtigung ein zusätzlich verändertes Raumerleben ermöglicht, welches in Film II zum Ausdruck kommt.

 

Parallel zu Film I läuft auf dem rechten Monitor ein anderes Bild. Während Film I das Geschehen aus einer beobachtenden Distanz heraus real nachvollziehbar zeigt, ist in Film II ein Spiel aus Licht und Schatten zu sehen. Das Gezeigte wirkt abstrakt, obwohl es ebenso konkret und sogar viel unmittelbarer ist. Wie ein Mond ist ein weißer Lichtkreis zu erkennen, der sich je nach Lichteinfall von Vollmond über Halbmond bis hin zur Mondfinsternis wandelt. Wie der Hof um den Mond wird die Struktur de Papprohres mal mehr und mal weniger sichtbar. Der Raum ist visuell nur ansatzweise erahnbar. Mal erscheint eine Linie im runden Weiß, mal ist der Boden bruchstückhaft zu erkennen. Die Nähe zur Wand lässt sich nur durch den Schatten ausmachen, der kurz vor der Berührung mit der Wand entsteht. Die Geräusche, die durch das Schaben, Kratzen, Reiben und Stoßen an dem Widerstand der raumeingrenzenden Wände entstehen, sind direkt in ihrer Brachialität wahrnehmbar. So wird die 'Nasale Raumpalpation' für die Betrachter nicht nur visuell, sondern auch akkustisch nachvollziehbar.

Dargeboten wird die Videoperformance auf zwei kleinen  Monitoren, die in kleinem Abstand, einander leicht zugewandt, positioniert sind. Die Monitore sind nicht nur Projektionsfläche der Videoperformance, sondern werden durch ihre würfelförmige Körperlichkeit selbst zu einem im Raum positionierten ästhetischen Erlebnis. Die Präsentation ihrerseits nimmt das Thema Raum auf. Das Raumerleben wird direkt greifbar, da die Monitore einen eigenen Raum im Raum bilden, indem sich das Gezeigte abspielt. Einerseits schaffen  die kleinen Monitore Distanz. Andererseits lassen sie die Betrachter in zwei Bildwelten eintauchen. In Bildwelten, die mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen in Bezug gesetzt werden können, die Assoziationen hervorrufen und zu Gedankenspielen anregen. Dem Betrachter steht es frei sich in das linke oder rechte  Bildgeschehen zu vertiefen oder beides zugleich auf sich wirken zu lassen. Stets gleichermaßen gegenwärtig sind nur die Geräusche der beiden Erlebnisinhalte, die jeweils aus ihrer Perspektive den gleichen Vorgang beschreiben.